Jonas Lüschers Novelle Frühling der Barbaren – Eine Parodie des westlichen Orientalismus?


Kul A. N.

STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE UND LITERATUR-ALMAN DILI VE EDEBIYATI DERGISI, sa.48, ss.43-60, 2022 (ESCI)

Özet

Jonas Lüschers Debütnovelle mit dem Titel Frühling der Barbaren aus dem Jahre 2013 zeigt, wie eine Gruppe einst zivilisierter, gut situierter Menschen zu „Barbaren“ mutiert, nachdem das Finanzsystem in ihrer Heimat zusammenbricht und sie plötzlich alle arbeits- und mittellos sind. Unmissverständlich wird das kapitalistische Finanzsystem unserer Zeit in Frage gestellt. Platziert ist das Geschehen in einem Luxusresort in der tunesischen Wüste. Dieser Schauplatz präsentiert dem Leser nebenbei eine Welt des Orients, in der die kolonialen Bedingungen des Luxustourismus ironisiert zu werden scheinen. Das Kamel – als Leitmotiv eingesetzt – erfüllt in diesem Bedeutungsgeflecht wichtige Funktionen und verleitet zu der Frage, wie sich der Text, der ersichtlich Bezüge zum Orient und demzufolge zum Orientalismus enthält, zum gängigen Orientdiskurs verhält. Vor diesem Hintergrund entschlüsselt die folgende Arbeit die Positionierung von Lüschers Novelle im fortwährenden Diskurs über den arabischen Orient. In diesem Zusammenhang scheint die Heranziehung von Edwards Saids Analysen westlicher Orientimaginationen und die genaue Dechiffrierung des Leitmotivs des Kamels und des eingewobenen Barbarentopos als angebracht. Insofern demonstriert die nachstehende Untersuchung wie sich Lüschers Novelle im Vergleich zu früheren westlichen Orientkonzeptionen durch eine besondere Position im Orientdiskurs auszeichnet und zur Reflexion über die tradierten stereotypen Wahrnehmungsmuster des Westens verleitet. In dieser Hinsicht gewinnt das Werk auch im aktuellen interkulturellen Dialog eine besondere Bedeutung. 

Jonas Lüscher’s 2013 debut novella titled Barbarian Spring shows how a group of once civilized, well-off people mutate into barbarians after the financial system in their homeland collapses and they suddenly all become jobless and destitute, clearly calling into question the present capitalist financial system. The action is set at a luxury resort in the Tunisian desert. This setting incidentally presents the reader with an Oriental world in which the colonial conditions of luxury tourism appear to be ironized. Used as a leitmotif, the camel fulfils important functions in this web of meanings and leads to the question of how the text, which obviously contains references to the Orient and consequently to Orientalism, relates to the common Orientalist discourse. In this way, this study deciphers the position Lüscher’s novella has in the ongoing discourse on the Arab Orient. In this context, the use of Edwards Said’s analyses of Western Oriental imaginaries, the precise interpretation of the camel’s leitmotif, and the interwoven barbarian overview appear obligatory. Thus, the following study demonstrates how Lüscher’s novella, is characterized by a special position in the Orientalist discourse in comparison to earlier Western conceptions of the Orient, as well as how it tempts the reader to rethink the traditional stereotypical perception patterns of the West. In this respect, the work also gains special significance with regard to the current intercultural dialogue.